Die kulturpolitische Aufarbeitung des kolonialen Erbes verliert offenbar an Schwung, bevor sie richtig Fahrt aufgenommen hat. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf meine kleine Anfrage hervor. Gemessen an den Ankündigungen der Staatsministerinnen und der „Ersten Eckpunkte“ der Bund-Länder-AG zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten sind die tatsächlichen Fortschritte in den Bereichen Provenienzforschung, Digitalisierung und Restitution ernüchternd.
Wann die Kontaktstelle, an die sich Herkunftsgesellschaften bei Rückgabeersuchen wenden können, eingerichtet wird, ist unklar. Geplant war der Start einst für dieses Frühjahr. Und wenn sie erst einmal ihre Arbeit aufnimmt, dann nur unter minimalem Personaleinsatz. Die Einrichtung einer Kommission, die in Streitfragen angerufen werden und Empfehlungen zur Rückgabe von Objekten aussprechen kann, ist ebenso ins Stocken geraten wie die Prüfung, wie und wo digitalisierte Bestände eingestellt und somit für die Öffentlichkeit verfügbar gemacht werden. Von einem Sofortprogramm, das Museen und Sammlungen bei der schnellstmöglichen Verfügbarmachung der Bestandsverzeichnisse von Objekten aus kolonialen Kontexten unterstützt, will die Bundesregierung trotzdem nichts wissen. Umfassende Erkenntnisse, wie viele Objekte aus kolonialen Kontexten in den bundesbezuschussten Einrichtungen auf ihre Provenienz erforscht werden, liegen aber scheinbar ohnehin nicht im Erkenntnisinteresse der Bundesregierung.
Die Bundesregierung muss aufhören, die Verantwortung ständig von sich zu weisen und endlich damit anfangen, die Aufarbeitung des kolonialen Erbes aktiv zu gestalten. Es braucht verbindliche Regelungen beim Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Das schließt die verpflichtende Provenienzforschung und Digitalisierung der Bestände ebenso ein wie rechtliche Ansprüche der Herkunftsgesellschaften auf einst unrechtmäßig in Besitz genommene Kulturgüter.
Hier kann die Antwort der Bundesregierung auf meine kleine Anfrage heruntergeladen werden:
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