Im Gesundheitswesen besteht eine Tendenz, hohes Gewicht zu pathologisieren. Hochgewicht wird auch dann als Krankheitsursache herangezogen, wenn die Beschwerden nicht darin begründet liegen. Etwa drei Viertel der Erfahrungen von Diskriminierungen aufgrund des Aussehens im Gesundheitswesen beinhalten materielle Benachteiligungen wie schlechtere Leistungen (72,3 %) sowie soziale Herabwürdigungen (76,3 %).
Der BMI allein ist kein guter Indikator für eine Diagnose. Es ist mehr Differenzierung notwendig. Beispielsweise ist ein hohes Gewicht ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf einer Coronainfektion, aber daraus darf weder eine Pauschalisierung noch eine individuelle Schuldzuschreibung abgeleitet werden. Dass die Bundesregierung Adipositas pauschal als „Problem“ bezeichnet, zeigt, dass sie sich mit der notwendigen Differenzierung schwertut.
Diskriminierung aufgrund des Gewichts ist in Arztpraxen überrepräsentiert und dort die häufigste Diskriminierungsform. Eine Stigmatisierung von dicken Menschen ist kontraproduktiv. Wer sich nicht ernst genommen fühlt, läuft Gefahr, sich aus der Gesundheitsversorgung zurückzuziehen. Abwertungen aufgrund des Gewichts können sich schädigend auf die seelische Gesundheit auswirken, gerade für Frauen.
Schuldzuweisungen sind fehl am Platz, da sie soziale Faktoren, Umwelteinflüsse sowie unsere Art zu leben, zu arbeiten und mobil zu sein außer Acht lassen. Die Diskriminierung von dicken Menschen im Gesundheitswesen muss in den Fokus rücken, damit sie überwunden werden kann. Gleichzeitig ist der Zugang zu medizinischer Hilfe zur Gewichtsreduktion unzureichend und muss verbessert werden. Die Bundesregierung weiß zu wenig über Gewichtsdiskriminierung und tut nichts, um schlauer zu werden.
Hier geht es zu der Antwort der Bundesregierung auf meine kleine Anfrage.
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