© Linda Neddermann

Corona – Was wir gelernt haben werden

In der Psychotherapie gibt es eine wunderbare Übung. Wir gucken auf heute aus der imaginierten Perspektive von in fünf Jahren zurück. Die Germanistinnen nennen das Futur II. Was werden wir aus der Corona-Krise gelernt haben?

Vielleicht das Wichtigste: Solidarität. Wir werden gelernt haben, dass wir bereit sind uns so zu verhalten, dass es dem Gemeinwohl dient. Dass es nachhaltiger ist, sich gemeinschaftsdienlich zu verhalten, als den eigenen Primärinteressen zu folgen, dass Junge für Alte da sind, dass Nachbarschaftshilfe für alle bereichernd ist. Wir werden neu gelernt haben, dass menschliche Verbindung auch kollektiv funktioniert, uns individuell tröstet, Mut macht und unseren Zusammenhalt stärkt. Es ist bemerkenswert, wie liebevoll, fürsorglich und hilfreich ein gesprochenes Wort am Telefon, ein Winken von Balkon zu Balkon sein kann. Es ist eine zentrale Erfahrung, die wir gerade gemeinsam machen: Verbindung und soziales Verhalten benötigen nicht unbedingt Körperkontakt.

Damit wir diese grundlegenden und ermutigenden Erfahrungen machen können, sind heute, hier und jetzt wichtige Dinge zu beachten. Wir sind in einer Krise, von der wir heute noch nicht wissen können, wie lange sie anhalten wird. Es ist elementar, Gefühle der Angst und Verunsicherung zuzulassen, in Worte zu fassen und auch wieder zu hinterfragen. Genau wie jetzt schnelle und weitgehende politische Entscheidungen getroffen werden, die hinterfragt werden müssen und revidiert werden können. Was gestern notwendig und angemessen war, kann morgen schon wieder obsolet sein. Aktuelle Einschränkungen des öffentlichen Lebens sind notwendig, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.

Spaziergänge allein oder in gebotenem Abstand mit wenigen Menschen aber sind sinnvoll um die Immunabwehr zu stärken und die Seele optimistisch zu stimmen. Beschimpfungen von Spaziergehenden oder von zwei Menschen im Gespräch auf einer Treppe in gebotenem Abstand, sind völlig unangebracht. Wir müssen jetzt als Gesellschaft gerade Alten und Alleinstehenden so beistehen, dass sie nicht vereinsamen. Das Virus ist gefährlich, die Isolation kann es auch sein. Familiäre Konflikte können auf engem Raum ausbrechen, nicht wenige Frauen sind jetzt besonders durch gewalttätige Partner gefährdet. Das dürfen wir nicht hinter geschlossenen Türen übersehen. Kinder brauchen Austausch, Anregungen und Bewegung und manchmal andere Menschen um sich als die eigene Familie. Auch Hundebesitzerinnen und ihre Tiere brauchen ihre täglichen Spaziergänge. Damit das, was nötig ist, uns erhalten bleibt, müssen wir das, was möglich ist, gemeinsam schaffen. Wir brauchen kein Social Distancing sondern physischen Abstand bei sozialer Nähe.

Gerade in Zeiten der Verunsicherung brauchen wir Trost und den Blick, den uns Künstlerinnen zur Verfügung stellen besonders dringend. Künstlerinnen brauchen unsere Unterstützung, damit sie die diese existentielle Krise überstehen. Wenn wir die Kunst und den kulturellen Austausch in dieser Krise riskieren, dann wächst die Angst umso mehr.

Angst ruft schnell nach einfachen und autoritären Maßnahmen. Der laute Ruf nach Ausgangssperren und nach einer Abschaffung der föderalen Ordnung schallt unüberhörbar durch die sozialen Netzwerke und die Medien. Angst lässt schnell eine Spirale mit dem Ruf nach der nächsten Maßnahme entstehen, je krasser, so die Hoffnung, desto hilfreicher. Es ist aber notwendig, jede Maßnahme zu überprüfen, ob sie geboten und vernünftig ist oder lediglich der Sehnsucht nach Beruhigung und Angstreduktion dient und der Profilierung einzelner Politiker als „harter Hund“ nützt.In der Psychoanalyse kennen wir den seelischen Mechanismus der Regression, in der unbestimmten Angst neigt die Seele zur Regression, zu einem kindlichen Hilferuf nach der elterlichen Autorität, die es schon regeln wird und dann – so die Hoffnung – ist alles wieder gut. Das ist ein Einfallstor für autoritäre Strukturen. Ausgangssperren werden, je nachdem wie restriktiv sie ausgestaltet sind, selbst die Ursache für Probleme und Ängste sein.

Die negativen psychosozialen Folgen einer bundesweiten Quarantäne könnten verheerend sein, die Fälle der häuslichen Gewalt würden steigen. Kinder, die nicht mehr draußen toben dürfen oder wenigstens in gebotenem Abstand mit Freund*innen interagieren, vereinsamen und werden traurig. Die Zahl der seelischen Erkrankungen würde steigen und die Immunabwehr würde sinken, wenn sich keiner mehr traut an die Luft zu gehen oder sogar Repression erwarten müsste. Ich bin zuversichtlich, dass wir alle vernünftig genug sind, uns nicht unnötig in Situationen zu begeben, in denen die Ansteckungsgefahr wächst und dass wir als Gesellschaft zeigen, dass wir zu Vernunft und Augenmaß fähig sind, dass wir immer schön körperlich Abstand wahren, einander aber seelisch beistehen. Wir sind also alle gefragt jetzt gute Ideen zu entwickeln, damit wir später sagen können: Es war eine schwere Zeit, aber wir haben aus ihr gelernt. Wir werden diese Krise gemeinsam überstanden, dem Sog des Autoritären widerstanden und miteinander einen neuen solidarischen Zusammenhalt entdeckt haben.

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