© Thomas Trutschel

Organspende: Warum Schweigen nicht Zustimmung bedeuten darf

Menschen, die händeringend auf ein Spendeorgan warten, erwarten zu Recht Verbesserungen bei der Organspende. Nun wird Betroffenen und ihren Angehörigen suggeriert, die Widerspruchsregelung löse die Probleme. Das stimmt nicht, sie könnte sogar kontraproduktiv wirken.  Derzeit stehen 84 Prozent der Menschen in Deutschland der Organspende positiv gegenüber. Diese potentiellen Spender*innen zu erreichen, damit sie sich dafür entscheiden, im Fall der Fälle ihre Organe zu spenden, ist vernünftig. Gleichzeitig muss das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen gewahrt werden. Warum? Weil für hohe Organspendezahlen zweierlei entscheidend ist: die Strukturen des Transplantationswesens und das Vertrauen der Menschen in die Organspende. Dafür ist es notwendig, dass sich sich möglichst viele Menschen und die Gesellschaft aktiv mit der Organspende auseinandersetzen.

Nach dem Organspendeskandal 2012 sank die Bereitschaft zum Spenden deutlich. Erst mit großer Anstrengung für mehr Transparenz und bessere Kontrollen konnte das Vertrauen wieder aufgebaut werden. Wenn alle Menschen automatisch zu Organspendern erklärt werden, sind Unsicherheiten und Vertrauensverlust vorprogrammiert. Hier geht es auch um die Empfänger: Im Gesundheitsausschuss des Bundestages erläuterte ein Empfänger eindrucksvoll den Wunsch vieler Betroffener, sicher wissen zu wollen, dass es sich um eine echte „Spende“ handelt und die Spenderin oder der Spender aktiv in die Organentnahme eingewilligt hat.

Die Widerspruchsregelung setzt auf die Uninformiertheit und Trägheit der Bevölkerung. Ihre Verfechter wollen regelmäßige Informationspflichten der Krankenkassen sogar aus dem Gesetz streichen. Wir hingegen wollen die Auseinandersetzung aller Bürgerinnen und Bürger mit der Organspende fördern – beim Abholen von Ausweisdokumenten, im Gespräch mit Hausärztinnen und Hausärzten, die dafür besser ausgebildet und bezahlt werden sollen, und durch Informationen der Krankenkassen.

Die Widerspruchsregelung  ist ein erheblicher Eingriff ist das Selbstbestimmungs- und (postmortale) Persönlichkeitsrecht und lässt gerade die Schwächsten in der Gesellschaft ohne Schutz. Was ist mit der jungen Mutter, die vorhat, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen, aber dazu noch keine Zeit gefunden hat? Was ist mit Menschen in psychischen Krisen, die sich gerade einfach nicht mit den Fragen rund um den eigenen Tod konfrontieren können? Was ist mit dem Obdachlosen, der alle Hände voll damit zu tun hat, seinen Alltag zu bewältigen? Menschen muss es weiterhin freistehen, sich mit höchstpersönlichen Fragen nicht auseinanderzusetzen, ohne dass dies körperliche und rechtliche Folgen für sie hat. Sie dürfen nicht automatisch zu Spendern erklärt werden. Schweigen darf nicht Zustimmung bedeuten.

Eine Widerspruchsregelung einzuführen verspielt nicht nur Vertrauen, es bringt auch nichts. Nirgendwo werden so viele Organe transplantiert wie in Spanien – seit dort 2014 die Strukturen zum Erkennen und Melden der Organspenden verbessert wurden. Eine formale Widerspruchsregelung blieb hingegen seit 1979 wirkungslos. In Deutschland werden von den Todesfällen, die für eine Organspende infrage kommen, noch zu wenige an die Deutsche Stiftung Organtransplantation gemeldet und in zu wenigen Fällen kommt es dann zur Organentnahme. Alle demokratischen Fraktionen im Bundestag haben im Februar 2019 ein Gesetz zur Verbesserung der Strukturen bei der Organspende verabschiedet. Dieses Gesetz wird seine volle Wirkung erst noch entfalten. Das Gesetz für eine freie Entscheidung bei der Organspende wäre ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Zudem müssen wir das Thema Organspende stärker in der medizinischen und pflegerischen Ausbildung verankern. Dieser Dreiklang – verbesserte Strukturen, mehr Informationen und gut ausgebildetes Personal – wird zu mehr Spenderorganen führen. 

Die Debatte um die Förderung der Organspende findet am Donnerstag, den 16. Januar ab 9 Uhr statt und wird live übertragen auf www.bundestag.de

Unser interfraktioneller Gesetzentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende kann hier heruntergeladen werden:

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