Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November fordere ich den Zugang zu einer sicheren und gewaltfreien Geburtshilfe für alle Schwangeren.
Für die meisten Frauen ist die Geburt ihres Kindes ein großartiges, schönes Erlebnis. Die große Mehrheit der Kinder wird auf natürlichem Wege geboren, ohne dass es einer medizinischen Intervention bedarf. Neben medizinischen Faktoren berichten Frauen und Hebammen immer wieder, wie entscheidend Vertrauen in den eigenen Körper, eine persönliche Betreuung ohne Zeitdruck und eine gute Teamarbeit unter den Geburtshelfer*innen für ein positives Geburtserlebnis ist. Kommt es unter der Geburt allerdings zu Komplikationen oder sogar Gewalt, können Mütter und Neugeborene schwere körperliche und seelische Schäden erleiden – mit erheblichen Folgen für ihr weiteres Leben.
Geschätzte 10 bis 25 Prozent der Gebärenden in Deutschland erleben Gewalt unter der Geburt. Laut dem Deutschen Hebammenverband umfasst dies die Durchführung fragwürdiger Routinen wie Bewegungseinschränkungen, medizinisch nicht indizierter oder ohne Einverständnis durchgeführter Untersuchungen und Interventionen, den verordneten Verzicht auf Flüssigkeit oder Nahrung, das Alleingelassen-Werden während der Geburt sowie einen geringschätzigen und respektlosen Umgang mit der Gebärenden.
Als Psychotherapeutin habe ich über viele Jahre Frauen unterstützt, die geschlechtsspezifische Gewalt erfahren haben. Aus meiner therapeutischen und politischen Arbeit weiß ich: Um solcher Gewalt vorzubeugen und sie effektiv zu bekämpfen müssen wir alle – und uns alle – sensibilisieren und engagieren.
So schließe ich mich mit Überzeugung den Forderungen von menschenrechtlichen und fachpolitischen Instanzen an, diese Maxime auch in Bezug auf Gewalt in der Geburtshilfe durchzudeklinieren. Warum? Weil immer mehr betroffene Frauen auch in Deutschland über ihre Erfahrungen von solcher Gewalt berichten, z.B. unter dem Hashtag #RosesRevolution, und klar ist: Damit wir eine an den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Frau orientierten Geburtshilfe bekommen – wie die Grand Dame der Geburtshilfe Prof. Lesley Page es ausdrückt: „humanizing birth“ – müssen wir uns alle, muss sich die Politik, der Herausforderung stellen, diese Erfahrungen ernst zu nehmen und den strukturellen Wandel zu fordern und umsetzen, der Gewalt in der Geburtshilfe verhütet und sie unterbindet.
Im Oktober 2019 stellte der Europarat fest: „Gewalt in Geburtshilfe und Gynäkologie ist eine Form von Gewalt, die seit langem verborgen ist und immer noch zu oft ignoriert wird. In der Privatsphäre der ärztlichen Beratung oder der Geburt sind Frauen Opfer von Praktiken, die gewalttätig sind oder als solche wahrgenommen werden können.“ (http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=28236&lang=en)
In ihrer Ausarbeitung eines menschenrechtsbasierten Ansatzes zur Bekämpfung von Misshandlungen und Gewalt gegen Frauen im Bereich der reproduktiven Gesundheit mit Schwerpunkt auf Gewalt in der Geburtshilfe Gewalt von Juli 2019 befand die UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen, Dubravka Šimonović: „Ähnlich wie bei der #MeToo-Bewegung haben auf Social Media-Plattformen veröffentlichte Informationen bestätigt, dass Frauen, die Opfer von Gewalt in der Geburtshilfe sind, häufig zum Schweigen gebracht werden oder Angst haben, sich zu äußern, weil sie Angst vor Tabus haben, Stigmatisierung erleben oder das Gefühl haben, dass von ihnen erlebte Gewalt einen Einzelfall darstellen könnte. Erfahrungsberichte von Frauen haben gezeigt, dass Misshandlungen und Gewalt während der Geburt weit verbreitet und im Gesundheitssystem verankert sind.“ (https://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/74/137)
Laut der Weltgesundheitsorganisation haben Schwangere ein Recht darauf, „in Würde gleich“ zu sein, und ein Recht auf eine respektvolle Gesundheitsversorgung während der Schwangerschaft und Geburt. Missbrauch, Vernachlässigung oder Missachtung während der Geburt verletzen die Menschenrechte der Gebärenden.
Die Forderungen, die der Europarat, an alle Mitgliedstaaten richten, gelten auch für Deutschland: Wir brauchen Daten und veröffentlichte Forschung zu medizinischen Interventionen und Gewalt in der Geburtshilfe; Weiterbildung für Ärzt*innen, Hebammen und Krankenpfleger*innen; effektive und zugängliche Beschwerdeverfahren innerhalb von Krankenhäusern und über diese hinaus; Unterstützung für Betroffene; Informationskampagnen; und vor allem eine ausreichende Finanzierung für gute Arbeitsbedingungen und eine fürsorgliche und mitfühlende Geburtshilfe.
Die Gewährleistung guter Geburts- und Arbeitsbedingungen im Kreißsaal und bei außerklinischen Geburten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der alle beteiligten Akteure mitzuwirken haben. Dazu gehört die Gewährleistung eines ausreichenden Angebots an Plätzen in der klinischen und außerklinischen Geburtshilfe ebenso wie eine ausreichende Zahl an Hebammen und eine qualitativ hochwertige Versorgung.
Hier geht es um die Selbstbestimmung von Frauen und um ihre Rechte. Diese müssen vollumfänglich umgesetzt werden – siehe dazu unseren Fraktionsbeschluss aus 2017.
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