Am 16. und 17. April 2019 hat das Bundesverfassungsgericht über den § 217 Strafgesetzbuch verhandelt. Dieser Paragraf stellt die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe. Unter dieses Verbot fallen alle Personen, die die Beihilfe zum Suizid als regelmäßige Dienstleistung anbieten. Der Suizid ist selbstverständlich straffrei und auch die individuelle Beihilfe zum Suizid durch nahestehende Personen und Ärzt*innen ist straffrei, sofern diese Praxis nicht auf Wiederholung angelegt ist. Die palliativmedizinische Versorgung Kranker sowie die Begleitung im stationären Hospiz oder durch ambulante Hospiz- und Palliativdienste sind nicht nur selbstverständlich straffrei, sondern ausdrücklich vom Gesetzgeber gewünscht und wurden in den vergangenen Jahren ausgebaut.
Diese Rechtsnorm wurde 2015 nach einem sehr langen und sorgfältigen parlamentarischen Verfahren in der jetzigen Form verabschiedet.
Nun klagen u.a. Sterbehilfevereine vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den §217.
Gemeinsam mit acht Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, SPD, der LINKEN und von uns Grünen habe ich den Deutschen Bundestag bei der Verhandlung in Karlsruhe vertreten.
Persönlich halte ich es für richtig, Suizidbeihilfe als Dienstleistung, die auf regelmäßige Wiederholung angelegt ist, unter Strafe zu stellen. In anderen Ländern sehen wir, welche Folgen es hat, wenn solche Angebote zugelassen werden. Die Zahl der Suizide steigt, dabei bleibt die Zahl derer, die einen „harten“ Suizid selbstständig begehen relativ stabil. Der Kreis der Menschen, die assistierten Suizid in Anspruch nehmen, weitet sich ständig aus – bis hin zu Minderjährigen, Dementen und psychisch Kranken.
Aus meiner Sicht lauert hier die große Gefahr, dass die Würde des Menschen gebunden wird an seine Fähigkeiten. Oft begegnet mir das Argument, wer nicht mehr selbstständig sei, wer Hilfe brauche, habe doch keine Lebensqualität mehr. Ist das so? Die Expert*innen aus Psychiatrie, Hospiz- und Palliativdiensten, die das Bundesverfassungsgericht angehört hat, beschrieben eindrucksvoll, wie würdevoll und individuell die Begleitung in schweren Krisen und insbesondere am Lebensende aussehen kann. Sie alle sowie die Stellungnahmen der Fachgesellschaften sprachen sich – aus meiner Sicht überzeugend – für die Beibehaltung des §217 aus.
Ich beschäftige mich seit gut zwei Jahrzehnten intensiv mit Fragen rund um die komplexen Themen Suizidalität, Autonomie und Sterbehilfe. Aus meiner 25jährigen Erfahrung als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie weiß ich, dass suizidale Impulse bei jedem Menschen in unterschiedlicher Intensität, in unterschiedlichen Lebensphasen auftreten. Immer sind diese Impulse von Ambivalenz geprägt. In der Regel ist es nicht ein gezielter Todeswunsch, der leitend ist, sondern der Wunsch, eine als nicht aushaltbar erlebte Situation zu ändern, eine Pause von quälenden Gefühlen und Situationen herbeizuführen. Häufig spielt die unmittelbare Wahrnehmung des Selbstwertes eine Rolle. Der Kontext, die Lebensumstände, Schmerzen, Einsamkeit, aber auch die Angst vor dem Sterbeprozess, die Angst vor Autonomieverlust spielen eine große Rolle.
Jeder Mensch hat das Recht sich zu suizidieren. Wenn Dritte dazukommen, wie es beim assistierten Suizid der Fall ist, verändert sich die Situation grundlegend. Verschiedene Expert*innen haben geschildert, welche nachhaltige seelische Bedeutung es hat, wenn ein Arzt den Suizidwunsch gewissermaßen autorisiert. Bestehende Ambivalenzen werden so übersprungen und nicht mehr umfassend wahrgenommen, weil ja ein Dritter auch gesagt hat, dass „es richtig ist“.
Die Situation der Angehörigen ist ebenfalls zwiespältig. Zum einen spielt „tödliches Mitleid“, wie es der Psychiater Prof. Klaus Dörner nennt eine Rolle. Die Angehörigen fühlen sich überfordert und wünschen sich eine „Erlösung“ ihres Sterbenden. Andererseits treten nach dem assistierten Suizid erhebliche Schuldgefühle auf.
Mediziner*innen erleben regelmäßig, wie selbst bei Schwerstkranken der Sterbewunsch in den Hintergrund tritt, wenn er oder sie palliativmedizinisch gut versorgt wird und körperliche und seelische Beschwerden gelindert werden. Es ist die Aufgabe von uns als Gesellschaft für eine gute Versorgung von Schwerstkranken zu sorgen.
Organisierte Sterbehilfe suggeriert, dass Suizid die autonomere, selbstbestimmtere Option im Vergleich zu einer pflegerischen und medizinischen Versorgung ist. Der Druck gerade auf alte, pflegebedürftige und kranke Menschen, diesen vermeintlichen „Ausweg“ zu nehmen und den Angehörigen nicht länger zur Last zu fallen, wird durch solche Angebote steigen. Das würde auch unseren Blick als Gesellschaft auf Alter und Tod radikal verändern. Ich finde es eine grauenvolle Vorstellung, wenn eine Gesellschaft ihren schwerstkranken und pflegebedürftigen Menschen zu verstehen gibt, sie wären nicht mehr erwünscht. Die Würde des Menschen gilt ohne Wenn und Aber und darf nicht an Bedingungen oder Fähigkeiten geknüpft werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat viele Expert*innen angehört – Jurist*innen, Psychiater*innen, Palliativmediziner*innen und Menschen, die in der Begleitung Schwerstkranker und Sterbender Erfahrung haben, ebenso wie Betroffene, die einen assistierten Suizid wünschen, sowie Betreiber von Sterbehilfevereinen aus der Schweiz und aus Deutschland. Das Gericht muss nun sehr schwierige ethische und grundrechtliche Abwägungen treffen. Das Urteil wird innerhalb des nächsten halben Jahres erwartet.
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