V.l.n.r.: Sophie Schönberger, Mnyaka Sururu Mboro, Christian Kopp, Kirsten Kappert-Gonther, Bénédicte Savoy, Erhard Grundl, Lars-Christian Koch, Yonas Endrias, Jürgen Zimmerer

Bericht über Fachgespräch zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialherrschaft

In der offiziellen Erinnerungskultur der Bundesrepublik wird bisher kaum berücksichtigt, dass mit dem Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren auch die deutsche Kolonialherrschaft über Teile Afrikas, Ozeaniens und andere überseeische Gebiete endete. 

Hartnäckig hält sich die Meinung, Deutschland sei eine unbedeutende Kolonialmacht gewesen. Dieses Bild beginnt sich zu verändern. Hieran haben besonders viele lokale, zivilgesellschaftliche Initiativen, die koloniale Kontinuitäten adressieren, einen wichtigen Anteil. Sie treiben die Debatte um Kulturgüter aus kolonialen Kontexten, Erinnerungsorte, die inhaltliche Gestaltung des Humboldt Forums und die Diskussion über Straßennamen mit kolonialem Hintergrund maßgeblich voran.

 

MACRONS ELEKTROSCHOCK

Nicht zuletzt die Ankündigung des französischen Präsidenten Macron vom November 2017, afrikanische Kulturschätze und menschliche Überreste aus der Kolonialzeit zurückzugeben, hat die Debatte weiter vorangebracht. Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte in Berlin und Paris und gemeinsam mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr Beraterin Macrons in diesen Fragen, nannte die französische Initiative einen „Elektroschock“ für die Debatte. 

Außerhalb von Europa sei das Thema inzwischen sogar Teil der Popkultur und werde etwa in Filmen aufgegriffen. Vor allem junge Menschen wollten mehr über Kulturgüter aus der Kolonialzeit wissen. Der Austausch über Kunst könne Türen zwischen den Betroffenen öffnen, um über „viel schwierigere Kapitel der Kolonialgeschichte“ zu sprechen.

 

UMGANG MIT RÜCKGABEFORDERUNGEN

Anders als in Deutschland, wo die gesellschaftliche Debatte schon sehr weit sei, gebe es in Frankreich aber einen politischen Willen ohne politische Debatte.  Savoy kritisierte die Arroganz deutscher und französischer Museen, wenn es um Rückgabeforderungen aus Afrika geht. Ihre Forderung: „Es muss zurückgegeben werden, was zurück verlangt wird, es darf nie wieder ein ‚Nein‘ geben!“

Zu den dringlichsten Aufgaben in Deutschland gehört für Professor Savoy, dass die Objekte aus kolonialem Kontext inventarisiert und online gestellt werden. Die sei ein Gebot der Transparenz, die man nicht zuletzt den Ländern, aus denen die Objekte geraubt worden sind, schuldig sei.

 

EINSCHÄTZUNGEN ZU AKTUELLEN KOOPERATIONEN

Lars-Christian Koch, Direktor für die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin im Humboldt Forum, erläuterte den Aufarbeitungsprozess am Humboldt Forum und betonte, dass dieser in enger Kooperation mit den Partnern aus den Herkunftsländern stattfinde.

Mnyaka Sururu Mboro und Christian Kopp von der Initiative Berlin Postkolonial wollten diese Darstellung so nicht stehen lassen. Sie kritisierten, dass bisher keine angemessene Kooperation mit afrikanischen Ländern stattgefunden hätte und beispielsweise bei der Erarbeitung des „Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ afrikanische ExpertInnen nicht beteiligt gewesen sind.

 

AUSEINANDERSETZUNG AUF AUGENHÖHE

Jürgen Zimmerer, Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg, wies darauf hin, dass die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte nicht auf Provenienzforschung und Rückgaben beschränkt werden dürfe. Schließlich bestünden koloniale Machtverhältnisse und rassistische Weltbilder bis heute fort. In Deutschland fehle bisher eine große symbolische Geste à la Macron. Es sei höchste Zeit für eine offizielle Entschuldigung Deutschlands für seine kolonialen Verbrechen.

Ottmar von Holtz, der in Namibia aufgewachsene Sprecher für zivile Krisenprävention in der grünen Bundestagsfraktion, unterstützte diese Forderung ausdrücklich. Der Deutsche Bundestag müsse sich endlich entschuldigen. Dass es bei einer solchen Geste nicht in erster Linie um Reparationen geht, betonte Yonas Endrias, Politikwissenschaftler und Vize-Vorsitzender des Zentralrats der Afrikanischen Gemeinde in Deutschland. „Es geht nicht um Geld, es geht um Würde“, sagte er. Der Deutsche Bundestag solle sich dafür einsetzen, dass ein Mahnmal für die Opfer des Kolonialismus errichtet wird.

 

AKTUELLER FALL AM LINDENMUSEUM STUTTGART

Auf die rechtlichen Dimensionen der Debatte ging Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Düsseldorf ein. Bisher fehle es an rechtlichen Grundlagen für eine Rückgabe von Objekten, was nicht zuletzt daran liege, dass sich nach dem Ende des Kolonialismus kein Unrechtbewusstsein gebildet habe.

Die juristischen Regeln für Kulturobjekte seien so vage wie bei einem im Zug vergessenen Regenschirm. Der Deutsche Bundestag könne aber solche Grundlagen schaffen, um eine klar geregelte Auseinandersetzung mit den Anspruchstellern auf Augenhöhe zu ermöglichen. Wie ein konkreter Rückgabeprozess ablaufen kann, berichtete eindrucksvoll die Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Petra Olschowski.

Wenige Tage vor dem Fachgespräch wurde öffentlich, dass eine in der Kolonialzeit geraubte Bibel, die derzeit im Stuttgarter Linden-Museum steht, an Namibia zurückgegeben werden soll. Weitere Objekte des Völkerkundemuseums sollen überprüft werden. „Wer die Vergangenheit verdrängt, fällt falsche Entscheidungen für Gegenwart und Zukunft“, sagte Kirsten Kappert-Gonther zum Abschluss.

Die intensive Diskussion zeigte, wie viel noch zu tun ist, wenn Deutschland sich seiner Verantwortung für das in der Kolonialzeit geschehene Unrecht wirklich stellen will. 

1 Kommentar

  1. Kerstin Niedermayer

    Doch seit einiger Zeit wird die Diskussion uber die deutsche Kolonialgeschichte verstarkt gefuhrt. Auch die Gro?e Koalition konnte sich dem nicht verschlie?en, so dass die Aufarbeitung des Kolonialismus im Jahr 2018 erstmals Erwahnung in einem Koalitionsvertrag der Bundesregierung fand. Ferner wollen Bund und Lander im Rahmen einer neuen Arbeitsgruppe der Kulturministerkonferenz eine gemeinsame politische Position zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten erarbeiten.

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