Berlin, München, Bremen, Köln – überall im Land häufen sich Berichte über Schwangere, die trotz Wehen an der Kliniktür abgewiesen wurden, weil die Kreißsäle überfüllt waren. In ländlichen Regionen genau das Gegenteil: Hier werden Geburtsstationen geschlossen, weil dort pro Woche nur noch ein bis zwei Kinder zur Welt kommen. Die Leidtragenden sind stets die werdenden Mütter.
Eine gute Betreuung unter der Geburt verhindert Komplikationen und Kaiserschnitte und hilft Frauen, auch schwierige Situationen und Stress besser zu verarbeiten. Wir haben daher die Bundesregierung gefragt, was sie in der neuen Legislaturperiode plant, um die Situation in der Geburtshilfe zu verbessern, und welche Erkenntnisse sie etwa zu überfüllten Geburtsstationen hat. Die Antwort: erschreckende Ahnungslosigkeit, keine Ideen, kein Interesse.
Immer weniger Geburtsstationen
Die Zahl der Kliniken, in denen Frauen gebären können, ist in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent gesunken. Pro Jahr schließen rund 20 Geburtsstationen in Deutschland. Das Problem: nicht immer ist sichergestellt, dass es Ausweichmöglichkeiten gibt. Die Länder, die für die Krankenhausplanung zuständig sind, berücksichtigen dabei nicht die Fahrtzeit zur nächsten Klinik, obwohl Fachleute Fahrtzeiten von über 40 Minuten als kritisch ansehen. Auch die Bundesregierung hält sich vornehm zurück: es sei nicht ihre Aufgabe, den Erhalt oder Ausbau von Geburtsstationen zu fördern oder Modellvorhaben für unterversorgte Regionen anzuschieben.
Wo und wie oft Geburtsstationen wegen Überfüllung schließen und Schwangere abweisen mussten, kann die Bundesregierung ebenfalls nicht sagen. Dazu liegen ihr keine Zahlen vor. Das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn scheint kein Interesse an diesem Thema zu haben.
Es fehlen Hebammen
Einer der Hauptgründe für die Versorgungsengpässe in der klinischen Geburtshilfe: es fehlt an Hebammen. Zwar ist die Zahl der Hebammenschülerinnen und -schüler seit 2005 um 16 Prozent gestiegen, aber immer weniger Hebammen sind bereit, in Kliniken zu arbeiten. Bei den Gründen gibt die Bundesregierung sich ahnungslos. Das ist bemerkenswert, da ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten aus dem Jahr 2012 dazu durchaus Angaben macht: zu hohe Arbeitsbelastung, zu geringes Einkommen, Unzufriedenheit mit den Arbeitszeiten und fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Auch der Deutsche Hebammenverband hat eine Umfrage zu den Arbeitsbedingungen von Hebammen in Kliniken gemacht. Ergebnis: oft müssen Hebammen mehrere Geburten gleichzeitig betreuen. Fehlende Ruhepausen, häufige Vertretungsdienste und zusätzliche Tätigkeiten, die eigentlich nicht zu den Aufgaben einer Hebamme gehören, kommen dazu.
Spahn lässt Schwangere und Hebammen im Stich
Eigentlich ein Grund zum schnellen Handeln. Doch die Bundesregierung plant – nichts. Der zuständige Bundesminister Jens Spahn sieht keinen Bedarf, seitens des Bundes die Arbeitsbedingungen für Hebammen in Kliniken zu verbessern und verweist auf die Krankenhausträger und den Gemeinsamen Bundesausschuss. Gesetzliche Vorgaben zur Personalbemessung in Kreißsälen lehnt er ab, obwohl gerade dies der Schlüssel zu einer besseren Betreuung wäre.
Grüne Forderungen für eine bessere Geburtshilfe
Es ist Zeit für ein bundesweites Aktionsprogramm für eine bessere Geburtshilfe.
Dazu gehören für uns:
- ausreichende Kapazitäten in Kreißsälen
- gute Arbeitsbedingungen für Hebammen
- eine Stärkung der natürlichen Geburt
- gute Startbedingungen für junge Familien nach der Geburt
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