Antrag an die Landesmitgliederversammlung der Grünen Bremen am 24. September 2016 – einstimmig angenommen
Unsere Gesellschaft ist gespalten und droht weiter auseinanderzufallen – in Bremen, in Deutschland und weltweit.
Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Dabei ist der allgemeine Lebensstandard in Deutschland gestiegen und in der Regel so hoch, dass alle in unser Gesellschaft gut leben und wir den Menschen, die vor Not und Vertreibung zu uns fliehen, eine neue Heimat bieten können. Allerdings ist der Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit, zu bezahlbarem Wohnraum und vielem mehr nicht gerecht verteilt. Die Chancen der Kinder sind abhängig vom Ort und dem Umfeld, in dem sie aufwachsen. Die Lebenserwartung hängt neben individuellen Faktoren davon ab, wo Menschen leben, in welchem Staat, in welcher Region Deutschlands. Auch innerhalb Bremens gibt es erhebliche Unterschiede.
Immer mehr Menschen haben das Gefühl, nichts beitragen zu können, oder dass ihre gesellschaftliche Beteiligung nicht gewollt wird. Rechte Kräfte spalten die Gesellschaft weiter und nutzen dann diese Spaltung für ihre populistischen Zwecke aus. Das wollen wir ändern. Dem stellen wir unser grünes Konzept für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Solidarität und Teilhabe aller entgegen.
Wir sind davon überzeugt, dass gleiche Rechte und unbedingte Teilhabechancen für alle unverzichtbar nicht nur für das individuelle Wohlergehen, sondern für die gesamte Gesellschaft sind. Dieses nennen wir Inklusion und es funktioniert über Empowerment. Empowerment heißt, eine Gesellschaft traut all ihren Mitgliedern zu, einen wertvollen Beitrag zum Gemeinwohl leisten zu können, wünscht diesen Beitrag und tut etwas dafür, damit alle in die Lage versetzt werden, sich zu beteiligen und ihr Leben zu gestalten. Barrieren, die dies verhindern, wollen wir abbauen.
Das ist ein entschiedener Beitrag gegen den Rechtsruck und für eine gerechte, solidarische Gesellschaft.
Gerechtigkeit ist umfassend
Gerechtigkeit ist für uns Grüne umfassend. Die soziale und ökologische Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, den Generationen und den Regionen der Welt und noch viel mehr. Für uns verbinden sich all diese Formen von Gerechtigkeit miteinander. Gerechtigkeit ist immer unverzichtbares Element für uns Grüne gewesen, leitet unsere Positionen und Handlungen und muss heute noch deutlicher in unseren Fokus rücken, weil wir in einer Zeit leben, in der die Stärkung des sozialen Zusammenhalts entscheidend für unsere Zukunft ist. Das heißt, eine Haltung einzunehmen, die Vielfalt als Chance sieht und gleichberechtigte Teilhabe aller als Selbstverständlichkeit.
Wir scheuen uns nicht zu fordern, dass für unsere Vorstellungen von einer gerechteren Welt die leistungsfähigeren Teile der Gesellschaft deutlich mehr schultern müssen, als sie es bisher getan haben. Deshalb dürfen wir gerade in einer Phase des Absteckens grundsätzlicher politischer Ziele vor einer Bundestagswahl nicht davor zurückschrecken, Vermögen, Erbschaften, Kapitalerträge und sehr hohe Einkommen auch angemessen zu besteuern. Eine grüne Steuer- und Finanzpolitik ist so Garant dafür, dass wir die ökologische und soziale Gerechtigkeit auch fördern können.
Wir wissen, dass es keine soziale Gerechtigkeit ohne ökologische Gerechtigkeit geben kann. Ökologie und Soziales immer zusammen zu denken kennzeichnet uns Grüne. Gerade im Hinblick auf den Klimawandel zeigt sich, wie eng die ökologische mit der sozialen Frage zusammenhängt: In den nächsten Jahren wird die klimabedingte Migration nach Europa weiter zunehmen. Menschen vor den Klimafolgen zu bewahren ist eine Frage globaler Klimagerechtigkeit. Die Industriestaaten als Hauptverursacher der globalen Erwärmung sind verpflichtet, weiter Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zu ergreifen.
Kinderarmut bekämpfen – Alleinerziehende stärken
Armut nimmt Kindern schon am Anfang ihres Lebens Entwicklungsmöglichkeiten. Sie haben einen schlechteren Start ins Leben. Kinderarmut ist gerade in Bremen ein großes Problem. In Bremen und Bremerhaven wächst ein Drittel der Kinder in Armut auf. Das muss sich ändern. Kinder dürfen für ihre Eltern kein Armutsrisiko sein. Wir wollen, dass alle Kinder die Chance haben, ihr Leben gut gestalten zu können.
Kinderarmut betrifft häufig die Kinder von Alleinerziehenden. Vielfach haben die jungen Mütter ihre Ausbildung nicht abschließen können. Wir wollen ihnen ermöglichen, dieses nachzuholen, z. B. durch verbindliche Regelungen für eine Teilzeitausbildung. Erwerbsmöglichkeiten sind aber auch dadurch eingeschränkt, dass die Kinderbetreuung nicht immer bedarfsgerecht ist. Wir brauchen deshalb mehr flexible Kita-Plätze, die die Randstunden des Tages abdecken. Das ist unverzichtbar für Eltern, die im Schichtdienst arbeiten. Die Fähigkeiten von Frauen müssen angemessen wertgeschätzt werden, die ungleiche Bezahlung muss beendet werden, die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen aufhören und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss immer noch deutlich verbessert werden. Gleichzeitig müssen junge Menschen darin bestärkt werden, Berufe zu erlernen, die ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechen, anstatt sich von traditionellen Geschlechtervorstellungen leiten zu lassen.
Auf Bundesebene wollen wir zudem eine Kindergrundsicherung einführen.
Wir wollen, dass Kinder unter guten Bedingungen zur Welt kommen und unter förderlichen Bedingungen aufwachsen können, unabhängig von ihrer Herkunft. Wir wollen, dass Kinder gemäß ihren individuellen Fähigkeiten in Kita und Schule ein gedeihliches Umfeld finden. Wir sorgen dafür, dass Kinder gemeinsam die Schule besuchen können und erleben, dass alle etwas beitragen können, auch und gerade wenn unterschiedliche Fähigkeiten vorliegen.
Unsere Bildungspolitik verfolgt das Ziel Bildungsbarrieren abzubauen. Alle Kinder sollen die Chance auf Kultur- und Naturerfahrungen bekommen. Darum müssen kulturelle Bildung und Ausflüge in die Natur selbstverständlicher Bestandteil des Kita- und Schulalltags werden. Wir sind sicher, dass Menschen sowohl in ihren intellektuellen als auch in ihren sozialen und seelischen Fähigkeiten gefördert werden müssen. Die Inklusion an Schulen ist die richtige Antwort. Sie muss besser werden, damit wirklich alle Kinder gute Chancen bekommen.
Im Land Bremen ist es deshalb nötig, dass
- schnell die notwendige Anzahl von Kita-Plätzen geschaffen wird.
- in einzelnen Kitas die Betreuungszeiten auf die Randstunden früh morgens und spät abends ausgeweitet werden.
- Teilzeitausbildungen ermöglicht werden.
- die Evaluation des Schulkompromisses genutzt wird, um das Ziel der Entkoppelung der Bildungschancen von der Herkunft weiter zu verfolgen und Inklusion als integralen Bestandteil aller Bildungsanstrengungen an allen Schulen zu etablieren.
- kulturelle, soziale und politische Bildung als feste Bestandteile in die Lernpläne aufgenommen werden.
- Naturerfahrungen in Kitas und Schulen gefördert werden.
Barrieren abbauen – Chancen eröffnen – 1+1>2
Inklusion – also selbstverständliche Teilhabe aller, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion und Fähigkeiten – ist der Schlüssel für eine solidarische Gesellschaft. Die solidarische Gesellschaft profitiert von der entstehenden Vielfalt und Mitmenschlichkeit. Gemeinsam sind wir stark, weil das Gemeinsame immer mehr ist als die Summe der individuellen Beiträge. Die Fähigkeit einer Gesellschaft zu Gleichberechtigung zeigt und übt sich z. B. im Umgang mit Menschen mit Behinderungen.
Quartiere sind der Ort des Zusammenlebens, die wir stärker entwickeln wollen. In Nachbarschaften wachsen Kinder auf und in Nachbarschaften können Alte und Hilfebedürftige gut versorgt leben. Wir setzen uns für die Entwicklung der Stadtteile, des Quartiersgedankens ein, für kurze Wege und Barrierefreiheit. Gut entwickelte Stadtteile bieten ein gedeihliches Lebensumfeld für Kinder und Alte, für Menschen mit und ohne Behinderung. Die Wege zu Einkaufs- und Entspannungsmöglichkeiten, zu Hausärzt_innen und ambulanten Pflegediensten müssen sich mancherorts deutlich verkürzen. Nachbarschaften haben die Fähigkeit, Menschen, die neu zu uns kommen, zu integrieren und willkommen zu heißen.
Bezahlbare Wohnungen dort zu finden, wo die Menschen auch leben wollen, wird immer schwieriger. Gut zu wohnen gehört für uns zu einem der entscheidenden Faktoren für soziale Gerechtigkeit in den Städten.
Die UN-Behindertenrechtskonvention muss flächendeckend in allen Lebensbereichen umgesetzt werden. Wir wollen Bremen zu einem Bundesland machen, in dem alle Menschen gut und so gesund wie möglich zusammenleben können.
Auf Bundesebene fordern wir Grünen ein modernes Teilhaberecht. Das Bundesteilhabegesetz muss hierfür überarbeitet werden und die UN-Behindertenrechtskonvention flächendeckend umgesetzt werden, zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts für Menschen mit Behinderung und gleichberechtigter Teilhabe für alle.
Im Land Bremen wollen wir
- die Stadtentwicklung im Quartier vorantreiben.
- die Ausrichtung der Angebote zu Pflege und Hilfen im Alltag für alte und behinderte Menschen an den Interessen der Nutzer_innen und nicht an den Interessen der Anbieter_innen.
- die weitere Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, wie im Aktionsplan formuliert.
- in den Stadtteilen und Nachbarschaften die Fantasie und den Mut für die Entwicklung neuer Wohnformen und nachbarschaftlicher Strukturen anregen.
Willkommen
Grünes Gestalten ist in Bremen sichtbar und muss auch in Zukunft Bremen zu einem lebenswerten Ort machen, an dem wir in Vielfalt und Unterschiedlichkeit gut gemeinsam leben können.
Bremen ist mit der Einführung der Gesundheitskarte für Geflüchtete Pionier gewesen. Bei uns in Bremen können Geflüchtete direkt zum Arzt gehen und schneller wieder gesund werden.
Wir haben in Bremen in den letzten Jahren die Grundlagen für eine gute Integration tausender neuer Mitbürger_innen geschaffen, für Wohnraum gesorgt und die Beschulung überwiegend sichergestellt. Der zu leistende Kraftakt reicht noch bis weit in die Zukunft. Auf diesen ersten Integrationsleistungen gilt es aufzubauen und am Ball zu bleiben, damit neue Mitbürger_innen Teil unserer Gesellschaft werden und wir uns gegenseitig bereichern können.
Sprache ist der Schlüssel zur Teilhabe. Der Zugang zu Sprachkursen muss zur passenden Zeit erfolgen. Expert_innen sagen, dass ca. drei Monate nach Ankunft dafür der richtige Zeitpunkt ist. Dann haben die Menschen die innere Offenheit, Kraft und Motivation, um unsere Sprache lernen zu können.
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist noch viel zu schwer für Geflüchtete. Wir müssen dafür sorgen, dass Neu-Bremer_innen sich auch durch Arbeit einbringen können.
Unsere Familien geben uns Halt und Geborgenheit. Es ist falsch und unmenschlich, Geflüchteten die Familienzusammenführung durch die restriktiven Regelungen für den Familiennachzug zu erschweren.
In Bremen
- müssen die kommunalen Sprachkurse in ihrem Stundenumfang erweitert und zu Intensivkursen ausgebaut werden, dafür braucht es Räume und Personal.
- müssen alle Geflüchteten die Chance bekommen, innerhalb des ersten halben Jahres nach Ankunft einen Sprachkurs besuchen zu können.
- muss Geflüchteten nach Absolvierung eines Vorkurses bzw. Erstsprachkurses (zur Erlangung deutscher Sprachgrundkenntnisse) ein Platz in einem weiterführenden Sprachkurs an schulischen oder außerschulischen Einrichtungen sichergestellt werden, der auf ihren Sprachkenntnissen aufbaut
- müssen verstärkt Sprachkurse auch in Zusammenarbeit mit Betrieben durchgeführt werden.
- muss die Erstberatung zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse verbessert werden.
- müssen die Behörden, die für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zuständig sind, zu serviceorientierten Institutionen weiterentwickelt werden.
- müssen Berufsschulen und Qualifizierungsträger unterstützt werden, mit interkulturell geschultem und sprachbewusstem pädagogischen Personal zu arbeiten.
- müssen die Aktivitäten für Geflüchtete von Agentur für Arbeit, Jobcenter, Landes- und Bundesprogrammen gebündelt und aufeinander abgestimmt umgesetzt werden.
Im Bund wollen wir uns dafür stark machen, dass nicht nur Personen mit „guter Bleibeperspektive“ (aktuell nur Personen aus Iran, Irak, Eritrea, Syrien und Somalia) Deutschkurse des Bundes besuchen dürfen, sondern dass diese für alle Personen mit „hoher Bleibewahrscheinlichkeit“ geöffnet werden.
Zudem möchten wir durch Rücknahme der jüngsten Restriktionen den Familiennachzug erleichtern.
Weiter geht’s!
Die grüne Handschrift, grüne Visionen für eine grüne, inklusive und wachsende Stadt mit hoher Lebensqualität und Teilhabe für alle sind der Maßstab für unser politisches Handeln in Partei, Fraktion und Regierung.
Wir Grünen werden momentan stärker denn je benötigt, um die Menschen in unserem Land zusammenzubringen.
Dieses Streben nach Gerechtigkeit ist uns Leitlinie in all unseren politischen Entscheidungen.
Dieser Antrag wurde auf der Landesmitgliederversammlung der Grünen Bremen am 24. September 2016 eingereicht und von der Versammlung einstimmig beschlossen.
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