Meinungsbeitrag in der Fachzeitschrift MMW – Fortschritte der Medizin, 1. Mai 2016
Der Bremer Landtag hält die Kriminalisierung des Cannabiskonsums für gescheitert. Sie setzt auf mehr Prävention – und will bald ein Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Hanfprodukten einrichten.
Wie wäre es, im Restaurant „einmal Alkohol, bitte!“ zu bestellen – ohne zu wissen ob man Bier oder Wodka bekommt? Die Situation beim Cannabiserwerb auf dem Schwarzmarkt ist ähnlich. Man kann nicht sicher sein, welche Inhaltsstoffe in welcher Qualität man kauft – oder ob z. B. Bleistäube oder geriebenes Glas zur Streckung beigemischt wurden. Auf dem Schwarzmarkt gibt es weder einen Gesundheitsschutz noch einen Jugendschutz.
Eine vernünftige Drogenpolitik muss vorrangig darauf ausgerichtet sein, die Gefahren des Rauschmittelkonsums zu verringern. Dabei sind Jugend- und Gesundheitsschutz vorrangige Ziele. Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Drogenpolitik gescheitert. Strafe schützt nicht vor Sucht, und Kriminalisierung hat keinen ausreichenden präventiven Effekt. In Deutschland wird etwa neunmal so viel Geld in die Strafverfolgung von Konsumierenden investiert als in die Prävention. Das ist gesundheitspolitisch unvernünftig.
Bremen will dieses unlogische Verhältnis künftig umkehren. Die Ressourcen sollen vermehrt in präventive Maßnahmen fließen. Dafür hat die Bremische Bürgerschaft im April dieses Jahres mit sehr breiter Mehrheit eine Reihe von Maßnahmen zur Entkriminalisierung von Cannabis beschlossen. Dem Antrag der Grünen und der SPD stimmten die FDP und die Linke geschlossen zu – die CDU stimmte dagegen.
Unser Beschluss zielt zunächst darauf ab, in Bremen alle Möglichkeiten für eine liberale Handhabung des Cannabiskonsums von Erwachsenen auszuschöpfen. Darüber hinaus planen wir als zentrale Maßnahme die Einrichtung eines in Deutschland einmaligen Modellprojekts. An zugelassenen Stellen sollen Erwachsene Cannabis kaufen können – in kontrollierter Qualität und mit deklarierten Inhaltsstoffen. So sollen Konsumierende erkennen können, was sie erwerben – und der Schwarzmarkt ausgetrocknet werden.
Medizin setzt Hanf längst ein
Im Hanf ist eine Vielzahl von Substanzen vorhanden. Neben dem halluzinogenen THC kommen auch angst und spannungslösende, nicht psychosefördernde Cannabidiole vor, deren schmerz lindernde und muskelentspannende Wirkung bei chronischen Erkrankungen zunehmend genutzt werden.
Sucht entsteht immer multifaktoriell – Dosis, Wirkstoff und Kontext spielen hierbei bekanntlich zusammen. Es ist unvernünftig, Menschen mit riskantem Substanzkonsum zu kriminalisieren. Auf diese Weise erhöht man die Schwelle, sich professionelle Hilfe zu holen, und in der Folge auch die Gefahr einer Chronifizierung. Kriminalisierung fördert Isolation und Scham – und beides fördert wiederum die Entwicklung von Sucht. Einen positiven Effekt haben dagegen Aufklärung und Prävention.
Damit Bremen das geplante Modellprojekt einrichten kann, müssen zunächst bundesgesetzliche Regelungen verändert werden, was wir über den Bundesrat initiieren wollen. Angesichts der öffentlichen Diskussion und nicht zuletzt auch des aktuellen Diskurses innerhalb der Ärzteschaft dürfen wir auf einen generellen Richtungswechsel in Deutschland hoffen – zugunsten einer rationalen Cannabispolitik.
Dieser Text ist in der Fachzeitschrift MMW – Fortschritte der Medizin, Ausgabe 10/2016 (1.5.2016) im Springer-Verlag erschienen. Der Artikel ist online abrufbar unter:
link.springer.com/content/pdf/10.1007/s15006-016-8269-y.pdf
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